Alepposeife - Teil 1
1. Alepposeife - Herstellung und Hintergründe | |
2. Alepposeife - Der Hamam | |
3. Alepposeife - Kulturgeschichte der Seife | |
4. Alepposeife - der Lorbeerbaum | |
5. Wirtschaftsinformationen über Alepposeife |
Lorbeerseife und Olivenseife aus Aleppo gelten als etwas Besonderes, denn sie sind im Vergleich zu den heute gebräuchlichen Waschmitteln und Waschsyndets ein Produkt aus einer anderen oft schon für vergessen gehaltenen Epoche. Bei der Herstellung bilden üblicherweise Oliven- und Lorbeeröl die Grundlagen.
Alepposeife (arab. «Sapun Ghar», eigentlich: Lorbeer-öl-seife) wird aus Oliven- und Lorbeeröl gesiedet. Farbstoffe, künstliche Aromen, Schaumstabilisatoren, Parfüm etc. sind den traditionellen Seifensiedern in Aleppo aus zwei Gründen fremd: Einerseits stellen sie die Lorbeerseifen und Olivenseifen nach überlieferten Rezepten her und andererseits könnten sie in ihren mittelalterlich anmutenden Siedereien diese Segnungen der modernen Chemie gar nicht verarbeiten. Bisher sind wir von einer wesentlich höheren Zahl an traditionellen Seifensiedereien in Aleppo selbst ausgegangen; in der Altstadt sind es aber offenbar nur noch bis zu einem Dutzend (die auch nicht notwendigerweise ausschließlich dort produzieren). Der größere Teil der Fabriken hat die Altstadt längst verlassen und produziert im Umland nach mehr oder auch weniger traditionellen Standards, oder hat die Produktion ganz aufgegeben.
Das Verhältnis von Oliven- und Lorbeeröl unterscheidet sich von Seifensorte zu Seifensorte. Üblicherweise enthält Sapun Ghar zwischen 2 und 40% Lorbeeröl und dementsprechend 98 bis 60% Olivenöl (Schätzwerte). Traditionell gilt: Je höher der Anteil an Lorbeeröl, desto teurer die Herstellung und desto wertvoller die Seife. Oder wie ein Seifenproduzent gerne sagt: «Wer isst schon einfachen Reis, wenn er jede Menge Fleisch dazu bekommen kann?»
Die Farbe der Außenhaut wird mit zunehmender Reife heller. Je kürzer also der Lagerungszeitraum andauert, desto dunkler (und weniger reif) ist die Alepposeife.
Dabei haben die Umwelteinflüsse, unter denen Alepposeifen gelagert werden, einen erheblichen Einfluss. Sonnenlicht führt zu helleren Färbungen als dunkle Gewölbe. Fällt in dunkleren Räumen eine Art "Spotlight" durch eine Lücke auf ein Stück Seife, verfärbt sich unter Umständen ein münzgrosser Teil der Seifenoberfläche.
Interessant ist aber auch das Seifeninnere. Ein Reifeprozess nach traditionellen Standards ist nach Ansicht von aleppinischen Seifenhändlern nicht zuletzt daran erkennbar, dass ein durchschnittenes Stück zwar ein hartes Äußeres, aber einen weicheren Kern behält. Letzterer sollte aber nicht zu groß sein.. Sei das nämlich der Fall, so lege das die Vermutung nahe, dass die Reife mit chemischen Mitteln beschleunigt wurde.
Ohnehin sollte niemand glauben, dass das Verhältnis der Seifenkocher zur Chemie so skeptisch bis zuweilen feindselig ist, wie unter öko-orientierten Deutschen. Im Aleppiner Umland wird zum Teil nicht nur hoch automatisiert, sondern angeblich durchaus auch mit Beschleunigungshelfern gearbeitet, und nicht einmal die Traditonalisten unter den Produzenten rümpfen darüber auffallend die Nase – außer über einen angeblichen Fall, in dem Hühnerfett zugemischt worden sein soll. Ein Huhn, pardon, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und die wenigen Fabriken, die gewissermaßen unter Denkmalschutz in der Altstadt arbeiten, könnten alleine nicht einmal die regionale Nachfrage befriedigen.
Eine Besonderheit unter den Alepposeifen stellt die Olivenölseife dar, die kein – oder nur kleinere Mengen – Lorbeeröl enthält. Diese Seife wird in Aleppo zumeist für den Export (s. EU-Richtlinien) hergestellt.
Alepposeife – Bilder aus dem Produktionsprozessvon der Olivenpresse bis zur Seifenherstellung |
Für gewöhnlich arbeiten die Seifensiedereien in Aleppo im Winterhalbjahr (November bis März). Die produzierten Blöcke benötigen in den traditionellen zwischen sechs und neun Monate, um in gut gelüfteten Gewölben gestapelt zu trocknen. Die Ansichten darüber, ob eine richtig gute Alepposeife nach einem oder erst nach zwei Jahren verkauft werden sollte, differieren unter den Händlern und Produzenten gelegentlich. Im Verlauf des Trocknungsvorganges wird das Äußere der Alepposeife nicht nur härter, auch die Farben hellen sich unter dem Einfluss der Außenluft auf. Im Kern des Seifenblocks bleibt der ursprüngliche Farbton jedoch erhalten. Wenn hellgrüne Seifenblöcke nach der Trocknung geteilt werden, ist ihr Kern immer noch dunkelgrün und elastischer als die Seifenhaut. Geradezu weich sollte sie allerdings nicht sein. Im Allgemeinen kann der Herstellungsprozess folgendermaßen beschrieben werden: In Siedekesseln wird Olivenöl (für gewöhnlich aus der zweiten Pressung, vergleiche Bilderserie) mit in Wasser gelöster Sodaasche (heute handelt es sich um industrielle Sodaasche) gemischt und unter ständigem Rühren bei ca. 200 Grad C. gesiedet, bis das Olivenöl in Glyzerin und Natriumsalz aufgespalten wird. Der Siedemeister entscheidet, wann die Seife ausgesalzen ist. Kurz vor dem Ende dieses Vorganges wird bei den Sorten der Sapun Ghar der heißen Masse noch Lorbeeröl zugegeben. Die größten Kessel fassen zumeist nicht mehr als 5000 kg dieser Mischung. Nun wird die Seifenmischung aus den Kesseln gepumpt. Zweckmäßigerweise befördert man sie in den alten Betrieben über Röhren in eine obere Etage, um die dort freien Flächen zu nutzen. Die immer noch heiße Masse benötigt in großen, gut belüfteten Räumen je nach Wetterlage bis zu 40 Stunden zum Abkühlen. Das zuvor eingesetzte Wasser muss verdunsten, bevor die Alepposeife weiter verarbeitet werden kann. Im nächsten Arbeitsschritt wird diese zumeist grüne Masse auf einer ebenen Fläche verteilt und glatt gestrichen. Nachdem das Material so weit ausgehärtet ist, dass es weiter bearbeitet werden kann, werden per Hand die bekannten Seifenblöcke ausgeschnitten und mit dem Siegel des Herstellers versehen.
Alepposeife im Licht und im SchattenTraditioneller Aufbewahrungsort für Alepposeife sind die oberen Etagen der Manufakturen. Dort verändert sich die Farbe der Seifen mit fortschreitender Lagerdauer. Die beiden Alepposeifen auf den nachfolgenden Vergleichsbildern wurden der selben Partie entnommen, aber über mehrere Wochen an unterschiedlichen Orten gelagert - an einem trockenen und dunklen Lagerplatz die eine; und auf der Fensterbank die andere. Der entscheidende Unterschied besteht nicht in der Belüftung, sondern in der Belichtung... |
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Auf dem linken Bild steht die sonnenbestrahlte Alepposeife rechts; die ohne Sonneneinstrahlung gelagerte links. Auf dem rechten Bild haben sie die Seiten gewechselt - woraus ersichtlich ist, dass die Beleuchtung auf den Bildern bei diesem Unterschied keine Rolle gespielt hat. |
Die Ursprünge der aleppischen Seifenfertigung gehen mehr als ein Jahrtausend zurück - und die Siedemeister traditionell arbeitender Manufakturen haben es verstanden, diese Kenntnisse, Fähigkeiten, aber auch das Gefühl für ihr Produkt zu bewahren. Die in Aleppo produzierten Seifen wurden dort um das achte Jahrhundert nach Christus entwickelt, und im Verlauf der Jahrhunderte gelangte das zum Teil geheime Wissen der arabischen Seifensieder in den westlichen Mittelmeerraum.
Die Blöcke aus Lorbeerseife und Olivenseife halten ihre Qualität mehrere Jahre, wobei viele Menschen Alepposeife noch nachreifen lassen. So wird die Seife als Duftspender in den Kleiderschränken aufbewahrt, denn nach längerer Lagerung wird der Schaum feinporiger, der Seifenblock härter und die Seife hält im Gebrauch länger. Olivenöl enthält mehrere Vitamine (bes. Vitamin E) und Mineralstoffe. Olivenöl wird im Gebiet des Mittelmeeraumes seit Jahrtausenden als Hautpflegemittel hoch geschätzt. Bei der Verwendung von Olivenöl als Basis entstehen besonders milde Seifen mit dichtem und kleinporigem Schaum. Oliven- und Lorbeerölseifen erinnern in der Hand an Bienenwachskerzen. Die Hand spürt das Öl, doch diese Seifen fetten nicht. Es ist zu empfehlen, dass diese traditionellen Seifen während ihrer Verwendung immer trocken gelagert werden, da sie sonst dazu neigen, aufzuquellen und ihre Form zu verlieren. Besonders hochwertige Alepposeifen werden im arabischen Raum mit bis zu 40% Lorbeeröl angereichert. (So der Regelfall. Es geht auch noch hochprozentiger.) Lorbeeröl wird seit Generationen den Seifen aus Aleppo zugesetzt, da ihm eine positive Wirkung auf Haut und Haar des Menschen zugeschrieben wird. Gewonnen wird das Lorbeeröl aus den Blättern und den Steinfrüchten der Lorbeerbäume. Die Hauptanbaugebiete befinden sich heute in der Türkei, auf dem Balkan und im Süden Italiens.
Allerdings gilt Lorbeeröl als hautreizend und allergieauslösend. So ist immer zu bedenken, dass allgemeine Empfehlungen, Alepposeife zur Babypflege, Pflege empfindlicher Haut oder gar von Hauterkrankungen (!), Akne, Neurodermitis, Schuppen und Schuppenflechte, Haarwäsche, ph-neutralen Hautbalance und Gesichtspflege zu verwenden, sich auf ein Öl beziehen, welches als Allergen gilt. Daher sollte zumindest klar zwischen Alepposeife mit Lorbeeröl-Anteilen und "reiner Olivenölseife" unterschieden werden - und auch das ist nicht in allen Fällen einwandfrei klärbar. Welcher europäische Seifenhändler hat schon bei jedem Kochvorgang in Aleppo dabeigestanden und darauf geachtet, dass nicht nacheinander der selbe Behälter zuerst für Lorbeer- und dann Olivenöl verwendet wurde? ISO-Zertifizierungen sind in den Betrieben nicht unbedingt Standard. Hinzu kommt, dass Lorbeeröl in Syrien als Pluspunkt gewertet wird. Selbst Olivenölseife wird nach dem, was man unter Seifenherstellern so hört, im Zweifel gerne mit wenigstens kleinen Mengen Lorbeeröl "aufgewertet".
Im EU-Raum entspricht Lorbeerölseife nicht den Anforderungen an ein Körperpflegemittel, da nicht auszuschließen ist, dass diese Seife Allergien und Hautreizungen auszulösen vermag.
Der Verfasser selbst besucht Hamams und badet, duscht und rasiert sich mit Alepposeife. Schönheit oder dauerhaft gesteigerte Wellness sind deswegen aber weder ihm noch seinen Mitmenschen an ihm aufgefallen. Er erwartet keine Wunderdinge, er ist sich darüber im Klaren, dass er für seine Haut und Gesundheit selbst verantwortlich ist und plädiert für eine ausgewogene Sicht der Dinge.
Nach seinem momentanen Kenntnisstand reagiert seine Haut nicht allergisch. Jedenfalls noch nicht.
il professore
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Anm. d. Red.: Auch die letztgenannten Informationen gehören unserer Ansicht nach zu einer fairen Information der Besucherinnen und Besucher unserer Website. Im folgenden Abschnitt ("Fortsetzung: Was ist Seife") schießt il professore unserer Ansicht nach jedoch etwas über dieses Ziel hinaus, indem er auch auf die Geschichte von Cholera, Pest und Seuchen eingeht. Und von Läusen wird die Rede sein. Einer unserer Beta-Leser hat nach der Lektüre angekündigt, er werde sich in Zukunft statt mit Seife nur noch mit nassen Haustieren reinigen. Vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen kann uns das egal sein. Auch jener Leser soll unsere Ware ja schließlich sammeln und sich nicht damit waschen. Aber als Tierfreunde ist uns das nicht egal. Unser Appell: nehmen Sie Abstand davon, und natürlich erst recht von Tierversuchen.
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>>Fortsetzung: Alepposeife - der Hamam