Vorbemerkung: wo ich die Namen von Personen nenne, denen wir begegnet sind, handelt es sich durchweg um geänderte Namen. So viel Datenschutz wäre vielleicht nicht nötig, wird aber auch nicht schaden.
Der eigentliche Anlass der Reise war die Alepposeife. Aber in Aleppo und ihrem Umland gibt es natürlich mehr zu sehen als Haine und Seifenfabriken. Acht Tage in Aleppo. |
» Omayaden-Moschee |
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Mittwoch, 24.10.2007 |
Nebenstrecken» Alepposeife» Wirtschaft November 2007 |
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Das Land vor AleppoIn der ganz südlichen Türkei, um Antakya, liegen die Berge wie kleine und große Inseln im Schwemmland. Manchmal drängt sich mir an diesem Morgen der Eindruck auf, die Straße wäre eine Brücke, die über das Meer führt, oder über Spülgebiete, aus denen erst noch Land werden soll. Im Vormittagsdunst und Gegenlicht sieht man von den wirklich großen Bergen nur die Umrisse. Je größer und massiver sie sind, desto unwirklicher sehen sie aus. Abseits der Straße scheint es die Welt am zweiten oder dritten Tag der Schöpfungsgeschichte zu sein, oder die Welt an ihrem letzten Tag.Später belebt sich die Landschaft, wird konkreter. Dörfer, Haine, und Moscheen, die nicht viel größer als Dorfkapellen sind, aber zahlreicher. Dann und wann sieht man am Straßenrand einen Friedhof. Aber die Wolken unterhalb der Sonne sehen immer noch aus wie die hypertransparente Röntgenaufnahme eines Rumpfes – Rippen und Eingeweide, alles grau in grau. Der Grenzübergang ist recht massiv befestigt. Nicht gerade wie in der früheren DDR, aber mit vielen Absperrungen und Wachtürmen. Gut anderthalb Stunden dauern die türkischen und syrischen Formalitäten insgesamt. Vor allem einige Syrer werden von den syrischen Behörden lange aufgehalten. Der Kleinbus, in dem wir auf Aleppo zufahren, ist bestimmt das heiligste Auto, in dem ich je gesessen habe. Fromme Sprüche sind an die Wagendecke genietet, und rechts über mir ein Bild von Mekka. Alle Fenster sind geöffnet. Ich weiß: gleich beginnt Aleppo. Für einen Moment sehe ich die Stadt, klar unterscheidbar von ihrem Umland, das wir jetzt noch durchfahren. Ich sehe sie kurz, durch zusammengekniffene Augenlider, denn der Fahrtwind ist entzündungsverdächtig. Dann sind wir in der grauen Stadt, und sie hat doch unauffällig begonnen, bis nach einer Weile die erste große Moschee seit der Türkei im Blickfeld auftauchte, und dann, um alle Zweifel zu beseitigen, die Aleppo Chamber of Commerce. Wir sind am Ziel. Ungefähr, jedenfalls. Wir steigen frei nach Schnauze aus. Den Fahrer interessiert unser genaues Ziel nicht. Sein Business kriegt er vermutlich von türkischen Verwandten. Aber wir landen richtig. » Aleppo Nord |
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Donnerstag, 25.10.2007Die Stadt am frühen Morgen3,2 Millionen Menschen sollen in Aleppo leben, sagen einige Allepiner. Achthunderttausend weitere im Umland. Ob das stimmt? Anderen Quellen zufolge sind es weniger als zwei Millionen. Noch ist die Stadt für mich unüberschaubar. Ich übe die ersten und einfachsten Wege: durch die nach Branchen sortierten Läden der Nachbarschaft, die Reifen verkaufen und aufmöbeln, Eisenwaren anbieten, oder landwirtschaftliche Maschinen und Ersatzteile. Auch wer auf dem Land lebt – und das sind wohl immer weniger Menschen, denn eine mehr oder weniger schnelle Landflucht soll schon in den 1980ern begonnen haben -, hat immer wieder Gründe, die Stadt zu besuchen. Per Groß- oder Klein-LKW, Personenwagen, oder mit Pferd beziehungsweise Muli, und Wagen. Oder zu Fuß.Wer schon einmal hier ist, mag sich vielleicht auch amüsieren. Aber nicht jeder Besucher vom Land ist amüsiert. An diesem Morgen sehe ich, wie ein Beduine dem großen Kino in meiner Nachbarschaft begegnet. Es ist kurz nach Sonnenaufgang, die Straßenlaternen, soweit sie funktionieren, leuchten noch, die eisernen Rolläden vor den Läden sind geschlossen, der Beduine und ich sind fast allein auf der Straße, mit einigen Straßenkehrern, und außer mir trägt fast jeder Passant ein kariertes Kopftuch. Der Beduine scheint mich nicht zu sehen. Er schaut auf zu den Reklamebildern des Lichtspielhauses, zu Jackie Chan, zu messerschwingenden Banditen oder Gentlemen, und zu einer jungen Dame, die in Unterwäsche Liegestützen zu machen scheint. Er ist ganz allein mit diesen Bildern. Verstört und fasziniert legt er den Kopf in den Nacken und starrt zu ihnen hinauf. Er ist fassungslos. Vielleicht ist er nicht zum ersten Mal hier, und nicht zum ersten Mal entsetzt, aber es sieht so aus, als hätte er dieses lasterhafte Pantheon noch nie gesehen. Ich gehe unbemerkt an ihm vorbei. » vergrößern MilitärgerichteIch weiß nicht, wie weit öffentliche Hinrichtungen die Stimmung einer Stadt wie Aleppo bestimmen. Fünf wegen Mordes und Raub Verurteilte wurden am Morgen auf einem öffentlichen Platz westlich der Altstadt gehängt. Normalerweise sind Hinrichtungen nicht öffentlich. Kein Syrer verliert uns gegenüber ein Wort über den Vorgang, und in den internationalen Nachrichten taucht er erst am Ende des Tages auf.Verurteilt wurden die Delinquenten von einem Militärgericht. Ein Artikel der San Diego State University enthält in der zweiten Hälfte einige Angaben zur Rolle von syrischen Militärgerichten, und zu ihrer Zuständigkeit auch für Zivilisten. Mehr- und MinderheitenHier darf man es sagen – Genozid. In der armenischen Kirche in Aleppos Christenviertel wurde in den Achtziger Jahren ein Stein mit einer Inschrift angebracht, die an die massenhafte Ermordung und Aushungerung von Armeniern erinnert. Viele Armenier starben 1915 bei Aleppo. In der Türkei wird der Vorwurf des Genozids gegen die "jungtürkische" Armee strafrechtlich verfolgt.» Gedenken an den armenischen Völkermord 1915 Bis zu 20% der Aleppiner sollen Christen sein; rund 70% Sunniten. Dem Augenschein nach scheint mir der Prozentsatz an Christen allerdings zu hoch gegriffen. Man sieht nicht viele Frauen, die nicht mindestens ein Kopftuch tragen, nicht zu reden von Vollverschleierungen. Letztere sehen die Welt durch Maschen, die gröber sind als der Rest ihrer Burkha, und die Welt sieht nichts von ihnen. Wie kann jemand, der bzw. die sich in einen kompletten Sack steckt, für andere Menschen ein Gegenüber sein? Es ist merkwürdig sich vorzustellen, wie sie einkaufen, um Preise feilschen, oder (vielleicht) in ein Taxi einsteigen. Es gibt im Straßenbild ab und zu Frauen, die ohne jede Kopfbedeckung unterwegs sind, in Westmode, und meistens mit sehr bestimmten und markanten Gesichtern. Entschlossenheit wird das Mindeste sein, was sie nötig haben, um sich bei Einkäufen oder Behördengängen durchzusetzen. Honour crime fear of Syria women, BBC News, Damaskus, 12.10.2007 Es ist für einen durch Fachstudien kaum vorbelasteten Ausländer eine Versuchung, zu vorschnellen Schlüssen zu kommen. Die Vermutung, dass diese Republik oder dieses verkappte Erbscheichtum im Norden Arabiens nur so vielfältig sei, weil es sich um eine Diktatur durch Laizisten handele, wäre so ein Schluss. Oder die Vermutung, neben dem Islam zähle vor allem die Stammesverbundenheit. Sie drängt sich auf, wenn man den Präsidenten an vielen Ladentüren vor einem Fingerabdruck in den Landesfarben dargestellt sieht. Vielleicht würde ein landeskundiger Sozialwissenschaftler es so sagen, und sogar Indizien dafür nennen. Aber ich weiß nicht viel darüber. |
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Samstag, 27.10.2007Die AltstadtVor ungefähr 1250 Jahren, und erneut vor gut tausend Jahren, eroberten die Araber Aleppo von den Byzantinern. Sie sollen durch das Tor von Antakya gekommen sein, im Westen der Altstadt, einige hundert Meter entfernt vom Clock Tower und dem neu gebauten Sheraton-Hotel. Ahmed weist uns auf einen römischen Triumphbogen hin, der von den Arabern zugemauert und zu einem Teil einer Moschee umgewandelt, "aber nicht zerstört" wurde.Ausrufezeichen, Pause. Unsere Bewunderung für diesen islamischen Kultursinn hält sich in Grenzen. Passend dazu fällt mir der alte Marinebrauch ein, über der Flagge eines gekaperten oder überwundenen Schiffes seiner Feinde die eigene Flagge aufzuziehen – vor allem, wenn es sich um ein besonders mächtiges Kriegsschiff handelt. Aleppo hat den Moslems das Tor freiwillig geöffnet, erklärt Ahmed. Klar, meint mein Kollege. Wenn man sowieso verloren hat, versucht man, die Stadt vor der Zerstörung zu retten. Ach wo, meint Ahmed. Die Einwohner waren sehr froh über die arabische Machtübernahme. Vorher sei Aleppo von vielen Sektierern oder "Verrückten" beherrscht worden. Von den "Toweristen", die ihr Leben lang in irgendwelchen Türmen hausten, und durchgeknallten "Säulenbewohnern", die mit noch weniger Platz zufrieden waren als die Toweristen, und den "völlig verrückten" Maroniten. Mhm... mag sein. Aber Ahmed merkt schon, dass wir Abendländer der unbußfertigen Art sind, und lässt das meiste von dem stecken, was er sonst noch an Kulturkampf auf Lager hätte. Ahmed ist in der Altstadt geboren. Er ist ein kluger und gelehrter Mann, aber ich bin mir sicher, seine Frau ist vollverschleiert. Trotzdem ist er aufgrund seines Werdeganges eben auch Gelehrter, und Forschung und Lehre brauchen Instanzen, die den Religionen gegenüber neutral sind. Vielleicht darum beschwört Ahmed den Nutzen der "eisernen" Faust, mit der Syrien regiert wird. Er liebt diese Faust offensichtlich nicht, aber er achtet sie. Sei es, weil ihm ohnehin nichts anderes übrig bleibt, sei es, weil er seine Pappenheimer kennt. Von Haus aus ist er schließlich einer von ihnen. » Das Stadttor Antakya Die Souqs führen nach Osten, mit Verzweigungen und Karawansereien nach links und rechts. Je nach Gründungs- und Bauzeit sind ihre Deckengewölbe unterschiedlich üppig ausgebaut. Die Karawansereien sind Hofhäuser am Souq, und immer noch bringen Menschen aus der Umgebung der Stadt und aus dem ganzen Land ihre Waren dorthin. Die Höfe sind voll von meist kleinen LKW. Auch China ist inzwischen wieder vertreten – allerdings liefern die Söhne des Gelben Kaisers ihre Produkte hier nicht alle persönlich ab, und im Souq unterscheiden sie sich auch nicht besonders von dem, was sie nach Afrika und – als ausgesprochene Billigprodukte – nach Europa liefern. Anderswo in der Stadt wird es auch chinesische Investitionsgüter geben, und viele der Kleinlaster auf den Straßen sind ebenfalls made in China. |
» Quo vadis, Volkswagen? |
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Gewinner und VerliererVielleicht gab es in der Syrischen Arabischen Republik, ganz ähnlich wie in anderen mit der Sowjetunion oder China verbündeten Ländern, egalitärere Phasen als die heutige. Hafez al-Assad soll gesellschaftspolitisch ein "Linker" gewesen sein. Inzwischen aber unternimmt Syrien Modernisierungsversuche, bei denen das Linksmodell – wenn es denn je existiert hat – ziemlich unter die Räder gekommen sein muss.Es ist schwierig, solchen Sachverhalten in Gesprächen auf die Spur zu kommen. Das hat sicher nicht nur damit zu tun, dass Syrien ein Polizeistaat ist. Auch in diesem Land haben verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Bilder von vergangenen und aktuellen Realitäten, es müssen Bilder sein, die zur eigenen Herkunft, zur eigenen religiösen Weltanschauung, und zu ihren eigenen Zukunftschancen passen, und manchmal reden sie darüber. Was den einen Brians Sandale, ist den anderen Brians heilige Lampe. Vielleicht gibt schon das Auftreten eines Syrers Auskunft über die Welt, in der er lebt. Es gibt diese korrekten Typen, so alt wie wir oder noch älter, die einen einfachen Geschäftsanzug mit oder ohne Krawatte tragen, einen grauen Schnauzbart, die dir ernsthafte Fragen stellen, selbst Auskunft geben, dabei hoch konzentriert sind und keine Zeit für Kulturkämpfe haben. Auf irgendeinem Gebiet ist jeder von ihnen ein Profi. Sie sind selten besonders reich, aber auch nur selten arm. Manche der Armen sind Straßenkehrer und einfache Lohnarbeiter. Und es gibt die ganz Armen, denen nur die Möglichkeit bleibt, glücklicheren Zeitgenossen die Schuhe zu putzen. Das fällt mir noch nicht einmal so deutlich auf, wenn Kinder diese Arbeit tun, als wenn es Erwachsene sind. Aber weder das durchschnittliche Bildungsniveau, noch die Nachfrage nach gut ausgebildeten Leuten scheint in Aleppo besonders groß zu sein. Das mag in ganz Syrien zutreffen, aber in Aleppo wird es, dem Hörensagen nach, durch gesellschaftliche Hintergründe verschärft, die es anderswo in Syrien so nicht gebe. » Wasserpistole Einerseits sagt man der grauen Stadt zwar nach, in religiöser Hinsicht eine der vielfältigsten des Nahen Ostens zu sein. Andererseits soll sie aber nach Hama auch die reaktionärste sein. Es gab hier keinen Aufstand der Muslim Brotherhood, der mit dem von Hama vergleichbar gewesen wäre, und die syrische Regierung richtete als Reaktion darauf in Aleppo auch keine Verwüstungen an wie in Hama – aber beide Städte werden offenbar seit 1982 mit weitgehender Nichtachtung gestraft, wenn es um große staatliche Projekte geht. Syriens Regierung, aus Sicht der US-Regierung Teil einer "Achse des Bösen", leistet sich demnach ein eigenes kleines Reich des Bösen im Inneren, das es in der einen oder anderen Art zu bekämpfen gelte. Reaktionären Imamen der Stadt kann diese staatliche Blockade nur Recht sein. Aber das Ergebnis der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation ist bestimmt nicht immer das, was sie sich vorgestellt haben. Die Alten nehmen die Lage, jedenfalls äußerlich, gelassen, wenn die Läden in den besseren Stadtvierteln den Reichtum "der Anderen" ausstellen. Für manche der Jüngeren dagegen trifft die Unisoul Show von Radio Arabesque genau den richtigen Ton. Hier erfährt man, welche Hollywood-Filme in welcher Reihenfolge die größte Knete gemacht haben, und hier wird Rap und Gangsta mit sehr expliziten Ausdrücken gespielt – auf Englisch. Gangsta. Was die Großkopferten können, das können wir auch. Auf unsere Art. Mit religiösen Botschaften, die Frauen zu Unpersonen machen, muss sich das gar nicht schlecht vertragen. Frauen kommen bei dieser Musik, in Ost und West, ohnehin meistens nur als Objekte vor. Würden Geschäftsinhaber Studentinnen statt Studenten als Hilfsverkäufer einstellen, würden sie vielleicht etwas verkaufen. Mit diesem Shop-Assistenten aber reicht es nur für einen kurzen, ziemlich blöden Dialog. Verkäufer: Du bist Deutscher? Ich war schon mal in Deutschland." Deutscher: Oh, wo denn? Verkäufer: In Dresden. Da wurde im Krieg viel zerstört. Heute zerstören sie uns. Ich werde mir eine Kalaschnikow nehmen und kämpfen. Deutscher: Wenn du meinst, dass das hilft... Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das nützlich ist. Verkäufer (entsichert eine imaginäre Kalaschnikow): Ich ÜBE. Deutscher: Na denn. Schönen Tag noch. Konfuzius sagt: "Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht Moral und Kunst nicht; gedeiht Moral und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen..." Aber welche Begriffe eigentlich? Der Ausländer wirft in Syrien einen Blick in ein gedankliches Chaos. Und er fragt sich, wie sicher sich der Syrer, der so viel über Dresden gelernt hat, seiner Sache ist. Ein bisschen Heiliger Krieg ist dabei, der Krieg, den er mit seiner Kalaschnikow führen will. Aber auch eine Menge Bruce Willis. Amerikanische Actionfilme und -serien werden im Fernsehen zu jeder Tageszeit gezeigt. Und weil Krieg mit dem Westen zur Zeit nicht die offizielle syrische Linie ist, darf der Mann mit der gedachten Kalaschnikow gleichzeitig auch ein bisschen Gangsta sein. » Ilegal In Damaskus gründet sich lt. Syria Times ein Verband von Geschäftsfrauen. In Aleppo ist das auf den ersten Blick schwer vorstellbar. Aber es wäre sicher eine gute Idee. Radio Arabesque wurde 2006 gegründet. Wer will, kann darin einen Schritt zu mehr gesellschaftlicher Offenheit sehen. Aber mir scheint, das ist Interpretationssache. Man müsste es schon so sehen wollen. Syrien, wie jedes Land, wird dem einen oder anderen vor allem eine gedankliche Projektionsfläche sein, für die persönlichen Wünsche oder Befürchtungen. Vor weniger als hundert Jahren war es für die Osmanen ein Spiegel ihrer Niederlage, und für die Weltkriegsentente ein Spiegel ihres Sieges. Für Ahmed ist das Tor von Antakya der Beginn einer mehr oder weniger gerechten islamischen Herrschaft. Für manchen westlichen Ausländer ist Syrien ein Reich des Bösen. Aber ein Land ist sicher mehr als nur die Projektionsfläche einer einzigen Idee. |
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Montag, 29.10.2007FieberIch bin windempfindlich. Aleppo ist eine windige Stadt. Jedes halbwegs klassisch gebaute Haus hat den Vorzug, auch im Sommer noch eine kleine Brise zu bieten. Und jedes Auto hat den fragwürdigen Vorteil, dass man die Fenster in den Türen versenken kann. Nach einer längeren Überland-Tour bin ich erkältetEin DIN-A-4-Plakat am Zeitungskiosk zeigt ein Bild mit türkischen Soldaten in Bewegung, erkennbar am G-3. Die türkischen Städte flaggen schon seit Tagen oder Wochen patriotisch gegen die PKK. Ich lege eine Mittagspause ein. Um mir die Zeit zu vertreiben, messe ich ab und zu Fieber. 38,36 sind es um zwei Uhr nachmittags. Vorige Nacht mögen es über 39 gewesen sein. Redete und sang im Halbschlaf vor mich hin, oder wachte aus dem Schlaf davon auf. Und träumte von zwei Ländern und ihren Streitigkeiten. "Füllt diese Landkarte nicht mit Halbmonden auf", sagte jemand. "Das ist viel zu religiös. Hängt das tiefer. Es geht nicht um Halbmonde, sondern um Bananen." Das zweite Land wurde mit runden Keksen statt mit Vollmonden gefüllt. Aber nicht alle Welt war damit zufrieden. Der Streit setzte sich weiter fort, und nahm kein Ende. Halb drei nachmittags: 38,37 Grad. Um drei noch 38,3 Grad. Um viertel vor vier noch 37,77. Ich habe es wohl überstanden. Nordsyrien wartet auf Regen. Anfang des Monats hätte es soweit sein sollen. Der Himmel ist manchmal leicht bedeckt, aber nie ohne Lücken. Aleppo ist eine Stadt der Details. An den grauen Gewölbedecken oder auch an den Wänden finden sich Hinweise auf alte, lange Bräuche und Geschichten. Eine der Karawansereien hält dem, der sie betritt, an ihrer dem Tor gegenüber liegenden Wand die hölzerne Hand eines Derwischs entgegen, die nach oben weist. An der Wand über dem Tor hingegen weist die Hand nach unten. Im Tanz, so sagt man, drückt ein Derwisch mit einer hochgestreckten und einer herabgesenkten Hand aus, dass Gott Schutz biete. Zwischen den zwei hölzernen Händen lag ein geschütztes Gebiet – eben die Karawanserei. Hier konnte der reisende Händler seine Güter beruhigt abstellen und sich selbst in den oberen Stockwerken nachts zur Ruhe legen. » Hand des Derwischs Vor einigen Jahrzehnten soll es noch Derwische gegeben haben. Ihr Problem war ihr angestrengtes Denken, sagt Ahmed. Sie sprachen, wie sie es verstanden – aber andere Menschen verstanden sie nicht. "Wo ist Gott?", fragten Händler auf der Straße einen alten Derwisch. "Gott ist unter euren Füßen", antwortete der Alte. Dafür schlugen die Händler ihn tot, wegen Häresie. Später, vielleicht Jahre später, fragten die Händler einen durchreisenden Derwisch, warum sein alter Kollege so gotteslästerliche Dinge gesagt habe. "Grabt, wo ihr damals standet", sagte der reisende Derwisch. Die Händler fanden unter der staubigen Straße Geld und Edelmetalle, die irgendwer dort einmal vergraben haben musste. "Er sah, was ihr nicht sehen konntet", sagte der Derwisch. "Er sah das Geld unter der Erde, auf der eure Füße standen. Und er sah, dass das Geld euer Gott war." |
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Dienstag, 30.10.2007Begegnung der dritten ArtGestern abend, westlich der Vorstadt, kreuzten einige (vermutlich russische oder osteuropäische) Prostituierte hastig unseren Weg. Vor allem ein echter oder auch Schein-Teenie in hellblauem Rock (der kaum über den Hintern reichte) fiel mir auf. Sie alle eilten absatzklappernd ein paar Meter von einem Hauseingang links in einen rostigen VW-Transporter rechts, dessen Tür mit dem charakteristischen Roll-Schnapp hinter ihnen zufiel.Hatte ich schon wieder Fieber? War es eine Hallu? "Mist, ich habe vergessen, ein Foto zu machen." "Mist, ich habe vergessen, nach Autogrammen zu fragen." Andere waren besser vorbereitet als wir. Eine auffallend große Gruppe junger syrischer Zuschauer stand schon vorher am Straßenrand, und erwarteten den surrealen Auftritt schon. Aber sie staunten immer noch, obwohl die Aktion offenbar regelmäßig zur immer gleichen Uhrzeit stattfindet. Ungefähr einmal am Tag essen wir warm. Danach etwas Nervengift: Zigaretten und Minikaffees. Die Wirkung des Getränks, das schwarz ist wie für den Straßenbau, tritt binnen sechzig Sekunden ein. Wahrscheinlich vergrößern sich unsere Pupillen, wie unter Drogen. Gegen abend beginnt der Regen. Die Lautsprecherrufe zum Gebet entfallen größtenteils; offensichtlich sind die an den Außenseiten der Minarette angebrachten Lautsprecher fast alle wetterbedingten Kurzschlüssen erlegen. Nur aus zwei bis drei Kilometern Entfernung hört man einen Muezzin. Für ihn ist es ein großer Tag. Vermutlich hört ihn die ganze Stadt. » Hello World Ein SeifenproduzentDer Alte schafft es, gleichzeitig etwas verdrossen und doch zufrieden auszusehen – weniger verdrossen im Übrigen als im Geschäftsanzug auf offiziellen Bildern. In seinem handfesten Betrieb trägt er praktisches Alltagszeug, und den Hosenbund hat er sich bis an den Rippenansatz hochgezogen.So sitzt er nach einem anscheinend recht anstrengenden Vormittag auf der Couch in seinem Büro, bequem zurückgelehnt. Geschafft. Das Morgenprogramm, und sein ganzes gelungenes Leben. Baron Hotel16:30 Uhr, Teezeit, an einem besonderen Ort. Eine große Treppe führt zum Eingang des Baron-Hotels. Nach links geht es in die Bar. Wir entscheiden uns für den Tee- und Fernsehraum rechts. Ornamentale, aber westbadezimmerkompatible Bodenfliesen, und eine orange Sitzecke, in deren klobigen Sesseln man tief versackt. Auch die Vorhänge sind orange, und die Holzblenden vor den Fenstern sind geschlossen. Der Außenlärm, der sich im Regen ganz anders anhört als an den trockenen Tagen zuvor, erreicht uns hier nur gedämpft. Die stark verzierten Metallbilderrahmen an den hohen Wänden enthalten Stiche, wohl mit Motiven Aleppos. Und in einer in die Wand eingebauten Vitrine ist ein Buch mit den Home Letters Lawrence von Arabiens aufgeschlagen und auf seine unteren Kanten gestellt worden. Auch seine Limonadenrechnung scheint dabei zu sein.Um 17:00 Uhr beginnt, nach einem unbeachteten Fußballspiel, die Vorabend-Soap. Pünktlich dazu bewegt sich geräuschlos ein Hotelmanager herein. Gefühlsausbrüche, Moral, schöne Leichen, und viele Schlafzimmer gibt es jetzt zu sehen. Der Hotelmanager schläft in seinem Sessel ein. |
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Mittwoch, 31.10.2007Die Stadt und ihre fremden BesucherMein Tempo beim Gehen hat sich in den wenigen Tagen dem ortsüblichen angepasst. Meistens bewege ich mich langsam, wenn auch nicht gerade schlurfend. Zur Besichtigung für Leute ohne besondere Tagesordnung – in unserem Fall die Produktion der Alepposeife – wäre Aleppo vielleicht nur ein Programmpunkt von drei Tagen. Aber wer länger bleibt und immer wieder den selben Routen folgt, wird irgendwann nicht mehr so oft – gelegentlich feindselig – angestarrt, sondern gegrüßt. Auch von Menschen, denen er noch nicht begegnet war. Vielleicht bildet das Bleiben Tagesringe im Gesicht des Besuchers. Vielleicht verrät ihn auch die Staubschicht auf seinen Schuhen.Ich glaube nicht, von der Stadt und ihren Menschen viel "verstanden" zu haben. Mir selbst fehlt in Arabien jede Erfahrung, und von Denjenigen, die mehr wissen als ich, hat mir erzählt jeder etwas anderes erzählt. Auch die Aleppiner. Das ist nicht weiter frustrierend, denn vor allem interessierte mich, was mit der Alepposeife zusammenhängt. Mehr Ehrgeiz sollte wahrscheinlich niemand haben, der nicht mehr als knapp acht Tage Zeit mitbringt. Der Rest sind Impressionen, und manchmal versuchte Interpretationen. In Aleppo scheinen Staatsmacht und Islam Gegensätze zu bilden. Porträts Bashar al-Assads finden sich an vielen Autos und Geschäften, aus welchen Gründen auch immer. Aus Überzeugung? Um in Ruhe gelassen zu werden? Womöglich aus laizistischen oder alewitischen Motiven? Manchmal glaubt man es zu wissen. Die einzige Frau, mit der ich in den knapp acht Tagen in Aleppo gesprochen habe, war eine armenisch-orthodoxe Christin, die uns ihre Kirche vorstellte. Was immer mir erzählt wurde, haben mir Männer erzählt. Mir begegnete nur die Männergesellschaft. Die Frauen der Stadt blieben – buchstäblich und im übertragenen Sinn – verhüllt. » Aleppo, Zitadelle Ich war in Syrien, aber von Syrien habe ich fast ausschließlich Aleppo gesehen. Wenn der Eindruck, den das syrische Fernsehen mir von Damaskus vermittelt hat, nicht täuscht (und das Fernsehen kann ja täuschen), habe ich mit Aleppo allenfalls eine gesellschaftliche Variante des Landes gesehen. Monolithisch ist die allerdings auch nicht. Sie enthält viele Strömungen. Moderne, archaische, reaktionäre und in einem eigenen Sinn liberale. Aber diese Strömungen sind in einem intensiven Wettbewerb miteinander, und scheinen einander sehr fremd zu sein. Eigentlich, so scheint mir, schließen sie einander aus. Aber bisher hat es jedenfalls keine geschafft, das Straßenbild ganz alleine zu beherrschen. Ble
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